Kein Mensch auf der ganzen Welt
kann die Wahrheit verändern.
Man kann sie nur suchen
sie finden und ihr dienen.
Die Wahrheit ist an jedem Ort.

Dietrich Bonhoeffer

Gewaltenteilung oder das Schweigekartell

(Januar 2008)

Bekanntlich wird die Macht in einem demokratischen Rechtsstaat durch das Prinzip der Gewaltenteilung begrenzt. Die Legislative gibt dem Handeln der Exekutive den gesetzlichen Rahmen, und die Judikative überwacht dessen Einhaltung. Darüber hinaus trägt eine unabhängige Presse nicht unwesentlich zur Kontrolle aller staatlichen Gewalt bei. Sie wird daher informell auch als Vierte Gewalt bezeichnet.

Mit Blick auf die bewaffnete Macht im Staat spielt das Parlament in der Bundesrepublik Deutschland eine besondere Rolle. Die Bundeswehr wird daher häufig auch als Parlamentsarmee bezeichnet. Folgerichtig entscheidet der Deutsche Bundestag nicht nur über die Auslandseinsätze der Bundeswehr, sondern nimmt darüber hinaus vielfältige Kontrollfunktionen über die Streitkräfte wahr. Der Verteidigungsausschuss lässt sich in seinen wöchentlichen Sitzungen über die aus seiner Sicht bedeutsamen Ereignisse berichten. Dabei neigt er gelegentlich sogar zum Mikromanagement; denn nicht selten kümmert er sich um Detailfragen – so sie sich denn politisch ausschlachten lassen.
Darüber hinaus unterstützt der Wehrbeauftragte den Bundestag bei der parlamentarischen Kontrolle der Streitkräfte und geht Missständen innerhalb der Bundeswehr nach. Er wird vor allem tätig, wenn er Hinweise auf die Verletzung von Grundrechten von Soldaten oder von Grundsätzen der Inneren Führung erhält.

Beiden Institutionen hatte ich bereits wenige Tage vor meiner Entlassung und mehrfach danach Hinweise auf schwerwiegende Verstöße gegen die Prinzipien der Inneren Führung in diesem Zusammenhang gegeben. Bis heute ist diesen Hinweisen mit der Begründung nicht nachgegangen worden, man dürfe sich nicht in laufende Verfahren einmischen. Drei Schreiben an die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Frau Ulrike Merten, und sieben Eingaben an den Wehrbeauftragten, Herrn Reinhold Robbe, blieben ohne substantielle Antwort. Tatsächlich sind die genannten Verstöße nicht Gegenstand von Verfahren, und die Justiz verweist, wenn es um Fragen der Inneren Führung geht, umgekehrt zu Recht auf ihre Unzuständigkeit.

Der wahre Grund für die Untätigkeit der beiden Institutionen ist ein anderer: Sie waren selbst an dem Verfahren zur Vorbereitung meiner Entlassung beteiligt. Denn der dafür zuständige Staatssekretär im BMVg, Dr. Peter Wichert, hat sich offenkundig frühzeitig der Zustimmung beider Institutionen versichert, indem er wahrheitswidrig und unter Verstoß gegen § 9 der Wehrdisziplinarordnung (pdf) den Fall an sie herangetragen hat. Er hat dies offenkundig in der Absicht getan, sie in die intendierte Personalentscheidung einzubinden und damit ihre Kontrollfunktion zu unterlaufen. Dies geschah allem Anschein nach mit der perfiden Behauptung, die beiden Generale Dieter und Ruwe hätten sich „schützend vor den rechtsextremistischen Generalssohn gestellt“ - wohlwissend, welche Reflexe dies hervorrufen würde. Dabei wurde mein Sohn aktenkundig seitens des BMVg zu keiner Zeit als rechtsextremistisch orientiert bewertet. Ich gehe davon aus, dass beide Institutionen seinerzeit Verständnis für die beabsichtigte Maßnahme der Entlassung signalisiert haben und sich deshalb nunmehr schwer tun, den offenkundigen Verstößen nachzugehen. Näheres darüber finden Sie unter Auskunftsersuchen.

Auf diese Weise sollte die Kontrollfunktion des Parlaments unterlaufen werden – und das Parlament lässt sich das bis heute gefallen. Dabei handelte es sich für die Abgeordneten nicht um irgendeinen anonymen Fall. Den meisten Mitgliedern des Verteidigungsausschusses war ich durch meine Tätigkeit als Stellvertreter des Inspekteurs des Heeres gut bekannt; meine Zusammenarbeit mit vielen war sehr eng und von gegenseitigem Vertrauen geprägt. Als die Absicht des Ministers, mich zu entlassen, durch die Veröffentlichung im Spiegel bekannt geworden war, sprachen mir etliche ihr aufrichtiges (so will ich mal annehmen) Bedauern aus. Tun könnten sie allerdings nichts für mich; denn gegen die Maßnahme eines Minister der eigenen Partei bzw. des Koalitionspartners könne man natürlich nicht vorgehen. Einige wenige waren sogar so mutig, öffentlich kritische Anmerkungen zum Umgang des Ministeriums mit verdienten Generalen zu machen. „Völlig unverständlich und allen Regeln der Inneren Führung widersprechend, die selbstverständlich auch gegenüber Generälen Gültigkeit besitzen, ist die Indiskretion aus dem Bundesverteidigungsministerium, durch die die angeblichen Gründe veröffentlicht wurden, die zur Versetzung in den einstweiligen Ruhestand der beiden Generalleutnante Hans-Heinrich Dieter und Jürgen Ruwe führen sollen,“ meinte die FDP. Sie forderte den Minister auf, „endlich für Klarheit in der Sache zu sorgen und die Verantwortlichen für Indiskretionen aus dem Ministerium zur Rechenschaft ziehen“. Andererseits wurde von Abgeordneten kritisiert, dass ich mich vor dem Abschluss interner Prüfungen an die Öffentlichkeit gewandt hätte, wie es unzutreffenderweise hieß. Damit hätte ich die Entlassung in jedem Fall legitimiert. Tatsächlich lag die vom Minister gezeichnete Entlassungsurkunde zu jenem Zeitpunkt bereits auf dem Tisch des Bundespräsidenten.

Wenige Tage nach meiner Entlassung befasste sich – Pressemeldungen zufolge – der Verteidigungsausschuss kurz mit dem Thema. Minister Dr. Jung erklärte, er habe bei seiner Entscheidung gar keine Wahl gehabt; denn das Handeln der beiden Generale besitze strafrechtliche Relevanz. Dabei hatte dies nicht einmal der vom Minister für die Vorermittlungen eingesetzte Wehrdisziplinaranwalt so bewertet. Angeblich soll der Minister von Parteifreunden anschließend aufgefordert worden sein, sich mit solchen Äußerungen zurückzuhalten und nicht weiter „Öl ins Feuer zu gießen“. Das war es dann aber auch. Auch die Opposition setzte nicht nach – auch nicht im Hinblick auf die oben zitierte Forderung. Wenn man weiß, mit welcher Intensität sich der Ausschuss anderer Fälle angenommen hat, ist dies – mit allem Respekt – schon etwas irritierend.

Der Gesetzgeber hat mit dem § 50 Soldatengesetz ein Instrument geschaffen, das ich als durchaus fragwürdig erachte (siehe dazu auch § 50 Soldatengesetz – ein Zwiegespräch“). Immerhin hat er nicht den Bundesminister der Verteidigung ermächtigt, Generale jederzeit in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, sondern den Bundespräsidenten. Deshalb musste man sich natürlich im BMVg die Frage stellen, ob der Bundespräsident dem Antrag des Bundesministers der Verteidigung überhaupt folgen würde. Denn Bundespräsident Köhler hatte von Beginn seiner Amtszeit an deutlich gemacht, dass er seine Kompetenzen sehr wohl nutzen werde und sich nicht als oberster Staatsnotar oder gar als Unterschriftenautomat von Ministern verstehe. Im Hinblick auf die nach einem Regierungswechsel üblichen Zurruhesetzungen etlicher Staatssekretäre hatte er bereits einen „Warnschuss“ abgegeben. Unter der Überschrift „Köhler stoppt Personalkarussell“ berichtete Spiegel-online am 7. Dezember 2005, der Bundespräsident sperre sich gegen weitere Zurruhesetzungen von Spitzenbeamten im Rahmen der Regierungsumbildung. Man wusste daher im BMVg, dass beim Bundespräsidenten eine hohe Schwelle zu überwinden war. Die Vorwürfe mussten daher als äußerst schwerwiegend dargestellt werden. Um keine Überraschung zu erleben, eruierte man vor der Entscheidung des Ministers – wie bereits gegenüber dem Parlament – auch im Bundespräsidialamt, wie der Antrag dort aufgenommen würde. Da sich die für diese Frage zuständigen Herren der Ministerial- und der Präsidialbürokratie aus langjähriger Zusammenarbeit in anderer politischer Konstellation gut kannten, wurde schon mal der Entwurf des Ministerschreibens an den Bundespräsidenten informell vorab zur Kenntnis und Prüfung gegeben. Das Signal, man werde dem Bundespräsidenten Zustimmung empfehlen, erleichterte es ungemein, den Minister dazu zu bewegen, die Entlassungsurkunde abzuzeichnen (zu der Entscheidungsstuation siehe auch „Plädoyer“ ).

Allerdings hatte man offenbar die Rechnung zunächst ohne Bundespräsident Horst Köhler gemacht. Der zeigte sich nämlich nach den ersten Presseveröffentlichungen über den Fall Dieter/Ruwe durchaus irritiert und bestellte Minister Dr. Jung am 26. Januar 2006 persönlich ein. Damit es nicht zu peinlich für den Bundesminister der Verteidigung wurde, deklarierte das BMVg dies als seinen offiziellen Antrittsbesuch, der tatsächlich aber später erfolgte. Der Minister wiederholte und bekräftigte die in seinem Schreiben ohne Datum aufgeführten – und zu einem erheblichen Teil unzutreffenden - Behauptungen, so dass der Bundespräsident davon ausgehen musste, sie träfen zu. Er zeichnete daher die Urkunde. So wurde die zweite Kontrollinstanz für das Handeln des Bundesministers der Verteidigung unterlaufen.
Als ich mich zu einem späteren Zeitpunkt mit meiner Angelegenheit an den Bundespräsidenten wandte, antworteten mir in seinem Auftrag dieselben Leute, die seinerzeit – wie beschrieben - an dem Verfahren mitgewirkt hatten. Sie fanden, dass die Neutralität seines Amtes dem Bundespräsidenten verbiete, sich in laufende Verfahren einzumischen. Das kam mir bekannt vor.

Dennoch war ich fest davon überzeugt, dass die Maßnahme nicht lange Bestand haben würde, denn wir leben ja in einem funktionierenden Rechtsstaat mit einer unabhängigen Justiz. Zu jenem Zeitpunkt war mir die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Köln, wie sie unter § 50 Soldatengesetz – ein Zwiegespräch“ beschrieben ist, natürlich noch nicht bekannt. Ich hätte sie damals als abwegig betrachtet. Bis vor kurzem hätte ich mir auch nicht vorstellen können, dass ein Richter in einer Verhandlung einwerfen würde, ich müsse jetzt aber aufpassen, dass ich durch meine Ausführungen (siehe unter „Plädoyer“ ) nicht den Minister beschädige. Ich habe mich tatsächlich dabei ertappt, wie ich mich in der ersten Regung rechtfertigen wollte: „Aber ich bitte Sie, inwiefern beschädige ich denn durch meine Darstellung den Minister? Ich habe hier nur vorgetragen, wie sich die Dinge tatsächlich abgespielt haben.“ Erst in der zweiten Regung kam mir die viel wichtigere Frage: „Wieso ist es eigentlich die Aufgabe eines Gerichts, darauf zu achten, dass ein Minister nicht beschädigt wird? Ich dachte bisher immer, die Justiz sei die Dritte Gewalt - unabhängig und gehalten, darauf zu achten, dass die Gesetze eingehalten werden.“

Dasselbe Gericht merkt nicht, dass es mit seiner Rechtsprechung das Amt des Bundespräsidenten beschädigt. Es geht nämlich implizit davon aus, dass die eigentliche Entscheidung zur Anwendung des § 50 Soldatengesetz beim Minister liege („es reicht aus, wenn ihm Ihre Nase nicht passt“) und dieser lediglich seinen Vertrauensverlust dem Bundespräsidenten gegenüber so plausibel machen müsse, dass es nicht nach Willkür aussehe. Man müsse ihm dazu nicht in jeder Hinsicht korrekt und unmissverständlich vortragen, sondern ein „Tatsachenkern“ in der Begründung reiche aus. In meiner Naivität hatte ich bisher doch tatsächlich geglaubt, man müsse dem Bundespräsidenten die Wahrheit sagen, damit er seine Entscheidung auf einer angemessenen Grundlage treffen könne. Denn das Gesetz sagt schließlich, der Bundespräsident könne jederzeit Generale in den einstweiligen Ruhestand versetzen. Das Gesetz sagt nicht, der Bundespräsident müsse dies tun, sobald ihm der Minister einen Vertrauensverlust plausibel darstelle.

Große Hoffnungen – vielleicht die größten – hatte ich anfangs in die sog. Vierte Gewalt gesetzt. Die Medien sind in unserem Politikbetrieb von einer kaum zu überschätzenden Bedeutung. Einen Skandal dieser Dimension würde sich doch kein ambitionierter Journalist entgehen lassen, meinte ich. Ich hatte dabei gleich mehrere Dinge falsch eingeschätzt. Erstens war das Medienecho von Beginn an geteilt. Der perfide Vorwurf „kungelnde Generale, die sich schützend vor den rechtsextremistischen Generalssohn stellen“ wirkte nach. Und einige Parlamentarier, MdB Arnold vornweg, verbreiteten diesen Vorwurf trotz meines nachdrücklichen Einspruchs unbeirrt weiter. Dadurch tat sich auch die Presse schwer, den Merkwürdigkeiten des Verfahrens engagiert nachzugehen.

Immerhin erkannten zumindest die besser informierten Journalisten, dass in dieser Angelegenheit vieles nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Besonders nachdrücklich hatte der verteidigungspolitische Korrespondent einer großen überregionalen Tageszeitung die Angelegenheit aufgegriffen. Nach einigen Tagen erhielt ich jedoch von einem anderen Journalisten den Hinweis, ich möge mich nicht wundern, wenn die Intensität der Berichterstattung seines Kollegen nunmehr nachlasse. Dessen Chefreakteur werde ihn darauf hinweisen, dass das Publikum der Angelegenheit inzwischen überdrüssig sei; er möge sich doch anderen Themen zuwenden. „Verstehe ich nicht, die wollen doch ihr Blatt verkaufen. Natürlich wird das Interesse irgendwann nachlassen; aber im Augenblick ist die Sache doch noch hochbrisant.“ – „Eben“, war die Antwort, „Sie müssen sich das so vorstellen: Da ruft z.B. ... (er nannte den Namen eines hohen Politikers) bei ... (er nannte den Namen eines Verlegers) an und fragt, ‚auf welcher Seite steht Ihr eigentlich?’“. „Das betrifft aber doch nur ein Verlagshaus“, wand ich ein, bevor ich weiteren Nachhilfeunterricht erhielt: „Letztlich sind alle verteidigungspolitischen Korrespondenten darauf angewiesen, Informationen aus dem BMVg zu bekommen. Wenn jemand davon abgeschnitten wird, ist er journalistisch tot. Und natürlich wollen alle auch weiterhin den Minister nach Washington oder Peking begleiten. Im übrigen haben Sie das BMVg mit seinem kompletten Apparat zum Gegner; Sie dagegen sind Einzelkämpfer. Ihre Erwartungen an die Medienfront sollten Sie deshalb deutlich zurückschrauben.“ Jetzt hatte selbst ich es begriffen. Und in der Tat: Von dieser Seite kam kaum noch etwas. Und der Journalist, der seinerzeit die Angelegenheit besonders engagiert aufgegriffen hatte, ist in der Versenkung verschwunden. Es lebe die Vierte Gewalt.

Wenn die Gewaltenteilung in jedem Fall funktionierte, wäre das zweifellos eine gute Sache. Vermutlich hätte man dann auch ein noch stärker ausgeprägtes Gefühl, wirklich in einem demokratischen Rechtsstaat zu leben.

(zu dieser Thematik siehe auch auf der Website von Generalleutnant a.D. Dieter „Ärger mit dem Bundestag“ )