Einsätze - einige Fragen an Minister Jung
(21. September 2008)
Der 15. Kongress zur Sicherheitspolitik am 20. September 2008 in Minden stand unter dem Leitthema: „Gesellschaft und Bundeswehr – Gleichgültigkeit, freundliches Desinteresse oder ...?“
Einleitend trug Bundesminister Dr. Franz-Josef Jung zum Thema „Aktuelle sicherheitspolitische
Herausforderungen und ihre Auswirkungen auf die Bundeswehr“ vor. Dabei sprach er vor allem die Punkte an, die ein überwiegend militärisch geprägtes
Publikum in einem solchen Zusammenhang gern hört: Die Bedeutung der vernetzten Sicherheit, die unverzichtbare, aber auch begrenzte Rolle der militärischen
Komponente in diesem Konzept und die Notwendigkeit verstärkter Anstrengungen im zivilen Bereich. Im Mittelpunkt stand der Afghanistan-Einsatz – nicht zuletzt
im Hinblick auf die anstehende Mandatsverlängerung durch den deutschen Bundestag. Der Minister betonte nachdrücklich, welch großartige Leistungen unsere
Soldaten in einem immer schwieriger und gefährlicher gewordenen Umfeld täglich erbringen. Dabei stellte er sich ausdrücklich vor den Soldaten, der kurz zuvor
in unübersichtlicher Lage auf einen PKW geschossen hatte, weil er annahm, dass es sich um einen Anschlag handele. Tragischerweise waren bei dieser Aktion eine
Frau und zwei Kinder ums Leben gekommen.
Für seine Ausführungen erhielt der Minister viel Beifall. Den Umstand, dass dem Soldaten, der an diesem tragischen Vorfall beteiligt war, vom BMVg
Rechtsschutz verweigert wurde, verschwieg der Minister allerdings ebenso wie die riesigen Löcher, die das Netz der Sicherheitskonzeption für Afghanistan
selbst nach siebenjährigem Einsatz aufweist.
In der anschließenden Aussprache hielt ich es für geboten, auf einige gravierende grundsätzliche Mängel bei der Planung und Durchführung der Einsätze
hinzuweisen. Dazu habe ich dem Minister in meinem Diskussionsbeitrag drei Fragen gestellt:
„Herr Minister, für Ihre Ausführungen hier in diesem Kreis haben sie zu Recht viel Beifall erhalten. Ehrlicherweise haben Sie aber auch erwähnt, dass
man das eine oder andere noch besser machen könne. Ich würde gern in aller Kürze drei Bereiche aufzeigen, in denen mir dies besonders notwendig erscheint.
1. Sie haben die Bedeutung des Konzepts der vernetzten Sicherheit herausgestellt. Dem kann man nur beipflichten. Ich vermag allerdings nicht zu erkennen,
dass diesem Konzept in den bisherigen Einsätzen ausreichend Rechnung getragen worden wäre. Besonders deutlich wird dies im Afghanistan-Einsatz.
Es gibt bei uns bis heute keine Gesamtstrategie für diesen Einsatz, obwohl die Bundesregierung als Gastgeber des Petersberg Prozesses eine besondere
Verantwortung für dieses Land übernommen hat. Die Staatssekretäre der beteiligten Ressorts haben beim Berliner Colloquium der Clausewitz-Gesellschaft
im Frühjahr bei der Frage der Verantwortlichkeiten und Prioritätensetzung auf das Ressortprinzip verwiesen, mussten aber auf meinen Vorhalt einräumen,
dass es beträchtliche Koordinierungsmängel und Versäumnisse gab. Der Bundessicherheitsrat ist mit seinem kleinen Sekretariat, dem ich selbst einmal
angehört habe, sicherlich nicht in der Lage, eine Gesamtstrategie zu entwickeln und ihre Umsetzung zu überwachen. Vermutlich wird sich auch die
Bundeskanzlerin nicht selber hinsetzen und ein solches Papier schreiben. Aus Ihrer Fraktion kam nun jüngst der Vorschlag, einen Sicherheitsberater
einzuführen. Ich dachte: „Nun haben sie endlich kapiert, dass in diesem Bereich etwas geschehen muss. Dann verschwand der Vorschlag aber schnell wieder
in der Versenkung. Wie stehen Sie, Herr Minister, zu diesem Ansatz?
2. Es gab in all den bisherigen Einsätzen nicht nur keine Gesamtstrategie, sondern auch keine militärische Strategie, die diesen Namen verdiente. Wie sonst wäre es zu erklären, dass wir z.B. mit unserem Marinekontingent vor der Küste des Libanon patrouillieren, um den Waffenschmuggel für die Hisbollah zu unterbinden? Dabei kommt kein halbwegs klar denkender Mensch auf die Idee, Waffen auf dem Seeweg in den Libanon zu schmuggeln, wenn die Landgrenze zu Syrien sperrangelweit offen steht. M.W. ist dort noch kein einziger Waffentransport jemals gestoppt worden. Die Folge ist, dass die Waffenlager der Hisbollah längst wieder bis über den Rand gefüllt sind. Damit ist eine erneute Beschießung Israels jederzeit möglich, und auch in der innerstaatlichen Auseinandersetzung werden diese Waffen ja bekanntlich eingesetzt. Der nutzlose Marineeinsatz kostet uns zwar eine Menge Geld, gefährdet aber immerhin nicht das Leben von Soldaten.
Das war im Kongoeinsatz anders, den Sie, Herr Minister, heute erneut als großen Erfolg bezeichnet haben. Dem kann ich beim besten Willen nicht folgen.
Wer Truppe in Bataillonsstärke in eine hochvolatile Millionenstadt schickt, handelt in hohem Maße unverantwortlich. Dass dieser Einsatz nicht in einer
Katastrophe geendet ist und unsere Soldaten dort heil wieder herausgekommen sind, war pure Glückssache - die Wahrscheinlichkeit sprach nicht dafür.
Das Leben unserer Soldaten darf man doch nicht einem Vabanquespiel überlassen. Nebenbei bemerkt: Ob man es als einen Triumph der Demokratie bezeichnen
kann, wenn man einem Verbrecher durch Wahlen ein höheres Maß an Legitimation verschafft, muss man eher bezweifeln. An den furchtbaren Zuständen im Kongo
hat sich dadurch jedenfalls so gut wie nichts geändert.
Und schließlich Afghanistan: Wer glaubt, dass man ein solches Land mit einem Kräfteansatz stabilisieren kann, der geringer war als das Aufgebot für
das vergleichsweise winzige Kosovo, sollte sich sein militärisches Lehrgeld zurückgeben lassen.
Meine aktiven Kameraden bewerten diese Fragen sehr ähnlich wie ich. In der Öffentlichkeit höre ich davon jedoch nichts. Der Bundespräsident hat – wie Sie wissen – in einer Rede an der Führungsakademie von der militärischen Führung Klartext nach oben und außen gefordert (s. auch "Befehl und Gehorsam"). Wo bleibt dieser Klartext? Ich denke dabei nicht so sehr an den Generalinspekteur. Der konnte noch nie Klartext reden, aber es gibt doch auch andere. Haben Sie denen allen einen Maulkorb verpasst oder woraus resultiert diese Sprachlosigkeit? Mich würde interessieren, Herr Minister, wie Sie die Aufforderung des Bundespräsidenten und deren Umsetzung in der Bundeswehr bewerten.
3. Trotz anderslautender Behauptungen werden die Streitkräfte, selbst wenn die bisherigen Planungen im Rahmen der Transformation einmal umgesetzt sein
sollten, strukturell und ausrüstungsmäßig nicht ausreichend den neuen Herausforderungen angepasst sein. Aus Zeitgründen kann ich das hier nicht vertiefen,
sondern verweise auf meine Website, auf der ich in einem Beitrag dargestellt habe, warum das Heer „auf dem Zahnfleisch geht“. Hier nur ganz kurz: Wer
heute noch glaubt, dass 180 Eurofighter die angemessene Antwort auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft seien, hat
irgendetwas nicht begriffen. Die gewaltigen finanziellen Mittel, die wir für dieses Rüstungsprojekt aufwenden müssen, fehlen uns für eine verbesserte
Ausrüstung unserer Truppe in den laufenden Einsätzen. Ich behaupte nicht, dass unsere Ausrüstung miserabel wäre. Aber wir schicken unsere Soldaten immer
noch mit behelfsmäßig geschützten Fahrzeugen auf Patrouille. In einem solchen saß der bei dem letzten Anschlag getötete Hauptfeldwebel. Natürlich gibt es
vertragliche Bindungen für die Beschaffung der Flugzeuge; aber die EADS – sage ich mal mit Blick auf ihren Vertreter hier am Tisch - stellt nicht nur
Flugzeuge her.
Der Generalinspekteur hat auf meine Frage bei der letzten Tagung der ehemaligen Generale und Admirale erneut behauptet, wir seien gut aufgestellt. Es
gebe keinen Grund, die Struktur der Bundeswehr im Zuge der Transformation zu überdenken. Ist die Struktur für Sie, Herr Minister, ebenfalls sakrosankt
oder sehen Sie in diesem Bereich Handlungsbedarf?
Ich bitte um Nachsicht, dass mein Beitrag etwas lang geworden ist. Immerhin haben Sie, Herr Minister, dadurch die Möglichkeit, sich das herauszupicken,
was am einfachsten zu beantworten ist.“
Der Beifall des Auditoriums ließ darauf schließen, dass diese Fragen von der überwiegenden Zahl der Teilnehmer nicht als unberechtigt betrachtet wurden.
Wie von mir vorher vermutet, hat Minister Dr. Jung jedoch nur die erste Frage klar beantwortet. Er stellte fest, dass die Forderung nach einem Sicherheitsrat
Beschlusslage seiner Fraktion sei und bleibe, auch wenn dieser Beschluss in der gegenwärtigen politischen Situation nicht umsetzbar sei.
Die Antwort auf die Frage, wie er die Aufforderung des Bundespräsidenten an die militärische Führung zu mehr Klartext und deren Umsetzung bewerte, blieb
der Minister schuldig. Er verteidigte stattdessen die drei von mir als Beispiele für eine fehlende bzw. verfehlte militärische Strategie genannten
Einsätze (Libanon, Kongo, Afghanistan) – überwiegend übrigens gegen Argumente, die ich selbst weder vorgebracht hatte noch teile.
Zur dritten Frage nach der Struktur und Ausrüstung der Bundeswehr führte Minister Jung aus, dass er meine Bewertung nicht teile; er sei der Auffassung,
unsere Truppe in den Einsätzen sei hervorragend ausgerüstet. Welche Fahrzeuge von der Truppe konkret - dem jeweiligen Einsatzzweck entsprechend -
eingesetzt würden, müssten die Führer vor Ort entscheiden.
Dem letzteren wird sicherlich niemand widersprechen. Sie können allerdings nur das einsetzen, was sie haben. Insgesamt war zu erkennen, dass der Minister weder einen grundsätzlichen Wandel in der bisherigen Einsatzpolitik noch eine Nachbesserung bei Struktur und Ausrüstung der Bundeswehr beabsichtigt. Das Durchwurschteln wird also weitergehen – zu Lasten unserer Soldaten im Einsatz.