Kein Mensch auf der ganzen Welt
kann die Wahrheit verändern.
Man kann sie nur suchen
sie finden und ihr dienen.
Die Wahrheit ist an jedem Ort.

Dietrich Bonhoeffer

Philipp Freiherr von Boeselager

Grußwort des Stellvertreters des Inspekteurs des Heeres, Generalleutnant Jürgen Ruwe, anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerschaft des Landkreises Ahrweiler am 15. Juni 2005 in Ahrweiler

Herr Landrat Dr. Pföhler,
sehr geehrter Baron Boeselager,
sehr verehrte Gäste!


Es ist mir eine besondere Ehre und Freude, Ihnen, sehr verehrter Baron Boeselager, anlässlich der heutigen Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Sie die Grüße und Glückwünsche der Streitkräfte und des Heeres zu überbringen.

Ihre Verdienste als Soldat und Staatsbürger sind im In- und Ausland auf vielfältige Weise gewürdigt worden. Sie haben hohe und höchste Auszeichnung erhalten; die Verleihung einer Ehrenbürgerschaft überstrahlt aber doch alles andere. Sie wird in unserem Gemeinwesen ja auch nur sehr wenigen Frauen und Männern zuteil. Wenn aus einem solchen Anlass ein Vertreter der Bundeswehr das Wort ergreift, mag das zunächst ungewöhnlich erscheinen. Ich gehe aber mal davon aus, dass bei der Würdigung Ihres Lebenswerkes das Wirken für die Streitkräfte nicht ohne Belang war.

Deshalb freue ich mich sehr, dass ich zu diesem Aspekt hier einige Anmerkungen machen darf. Ich habe allerdings nicht den geringsten Zweifel, dass der Festredner dieses Tages das mit gleicher Kompetenz tun könnte. Denn neben den vielen herausragenden öffentlichen Ämtern, die er in seinem Leben bekleidet hat, war er auch einmal – dies ist wohl weniger bekannt - Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr.

Ich spreche von einer der WINTEX- Übungen, in der wir vor ca. 25 Jahren nur wenige Kilometer von hier entfernt im Bunker Marienthal die Verteidigung unseres Landes geübt haben. Sie, Herr Dr. von Dohnanyi, waren damals der eingeteilte Bundeskanzler, der die Geschicke unseres Landes unter - wenn auch angenommener - existenzieller Bedrohung zu lenken hatte. Diese Zeiten sind - Gott sei Dank - vorbei; aber vielleicht haben auch diese Übungen einen Beitrag dazu geleistet, dass es zu dem GAU einer großangelegten militärischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West nicht gekommen ist. Sie sehen also, meine Damen und Herren, es hätte meines Auftrittes hier eigentlich gar nicht bedurft, aber dennoch freue ich mich natürlich sehr, Baron Boeselager, dass ich heute diese Grußadresse an Sie richten darf.

Gerade im Jubiläumsjahr des 50-jährigen Bestehens der Bundeswehr kann nicht deutlich genug herausgestellt werden, dass Sie deren Tradition in herausragender Weise mitgestaltet haben. Mit dem, was traditionswürdig ist, haben wir uns in der Bundeswehr immer ein wenig schwer getan. Das ist aufgrund unserer Geschichte auch verständlich. Inzwischen ist aber unbestritten, dass die Tradition der Bundeswehr auf drei Säulen ruht.


Eine davon nimmt die Ideen der preußischen Staats- und Heeresreformer von 1806 auf, die zweite gründet auf der Geschichte der Bundeswehr selbst, die - um einmal die Dimension zu verdeutlichen – nun schon mehr als viermal so lange besteht wie die Wehrmacht. Die dritte Säule unserer Tradition aber sehen wir in den Männern und Frauen des deutschen Widerstands gegen den Nationalsozialismus und ihren Idealen. Sie, Baron Boeselager, haben entscheidend dazu beigetragen, dass diese dritte Säule auf einem guten und tragfähigen Fundament in unseren Streitkräften steht.

Vor fünfzig Jahren stellten Sie sich, gemeinsam mit anderen bewährten ehemaligen Soldaten, für den Personalgutachter-Ausschuss zur Verfügung, der die Eignung des militärischen Spitzenpersonals für diese neue Armee in der Demokratie beurteilen sollte. Erste Kriterien für die Auswahl künftiger Offiziere sollten demnach die Bejahung des Rechtsstaates und das Eintreten für die demokratische Grundordnung sein. Doch auch einwandfreies Verhalten während des Krieges sowie in Gefangenschaft waren wesentliche Aspekte.

Ob man aus der Geschichte lernen kann, ist durchaus strittig. Wir haben aber – so meine ich – aus der Erfahrung mit inzwischen zwei Diktaturen unstreitig die Lektion mitgenommen, dass wir in Führungsfunktionen der Armee - vielleicht mehr noch als in anderen Bereichen der Gesellschaft - keine Technokraten gebrauchen können. Vielmehr benötigen wir einen an klaren Wertvorstellungen orientierten Offizier – einen Offizier, der nicht nur tapfer im Einsatz ist und das Kriegshandwerk beherrscht, sondern der politische Zusammenhänge überblickt, sich der Verantwortung in seiner Aufgabe und für die ihm anvertrauten Soldaten bewusst ist und couragiert für seine Überzeugungen eintritt.

Sie, Baron Boeselager, haben jenen Werte- und Tugendkanon selbst gelebt, den Sie im vergangenen Jahr an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg anlässlich einer Rede zu Ehren Henning von Tresckows unseren zukünftigen Generalstabsoffizieren ins Stammbuch geschrieben haben: „Tapferkeit und Klugheit, dann die furchtlose Unbeugsamkeit eines in Gott gebundenen Gewissens und darauf beruhend Zivilcourage.“
Das ist selbst für Soldaten einer Armee in der Demokratie eine sehr anspruchsvolle Messlatte. Womöglich gilt dies nicht nur für Soldaten, sondern auch für andere Bereiche in Staat und Gesellschaft.
Beim Studium der Originalquelle – das soll manchmal ja hilfreich sein – fiel mir übrigens auf, dass Ihr genanntes Zitat noch weiter ging; Sie merkten zur Zivilcourage nämlich an: „...eine Tugend, die in Deutschland auszusterben droht“. Diesen Nachsatz wollten mir meine Mitarbeiter offenbar vorenthalten; ich selbst teile aber Ihre Bewertung. Leider geht diese Tendenz auch an den Streitkräften nicht ganz vorbei. Angesichts unseres heutigen Aufgabenspektrums und der Verantwortung, die wir für Sicherheit und Stabilität in mehreren Krisenregionen dieser Welt tragen, geben uns aber gerade der genannte Kanon und die in unserem Grundgesetz formulierten Normen eine Werteorientierung, die unverzichtbar ist.

Bei aller Veränderung, der die Bundeswehr unterworfen ist, bleibt diese Werteorientierung eine unverrückbare Konstante. Sie jungen Menschen zu vermitteln, ist nicht immer ganz einfach - und wenn es in abstrakter Form geschieht, oftmals nicht besonders prägend. Sie, Baron Boeselager, haben sich immer wieder zur Verfügung gestellt, aus Ihrem persönlichen Erleben und gegründet auf Ihre christlichen Wertvorstellungen unserem Führernachwuchs die Maximen zu vermitteln, die ich soeben zitiert habe.
Wenn Sie selbst noch irgendeinen Zweifel gehegt haben sollten, ob Sie bei den jungen Leuten damit angekommen sind, so darf ich Ihnen versichern: Die waren von Ihren Ausführungen gefesselt. Ich würde so etwas nicht leichtfertig behaupten; aber mein Sohn, der eher zu den kritischen Geistern zählt, hat mir dies - unaufgefordert - berichtet. Er hatte Sie bei einer Offizierweiterbildung vor einigen Jahren beim Panzeraufklärungsbataillon 7 in Augustdorf erlebt.

Uns Jüngeren ist glücklicherweise erspart geblieben, unter Einsatz unseres Lebens für unsere Überzeugungen eintreten zu müssen. Aber auch für Situationen weit unterhalb dieser Schwelle sind uns die Widerstandskämpfer des 20. Juli Vorbild und Mahnung zugleich. Ich kenne keinen anderen, der ihre Motive überzeugender weiter tragen könnte, als Sie, Baron Boeselager. Bei all den Problemen, die wir auch heute noch gelegentlich mit dem soldatischen Erbe der Wehrmacht haben, war es immer unbestritten, dass Ihr gefallener Bruder Georg und Sie selbst zu unseren ganz großen soldatischen Vorbildern gehören.

Nicht umsonst hat der über viele Jahre in der NATO durchgeführte Boeselager-Wettbewerb höchstes internationales Ansehen genossen, und wie oft haben Sie, Baron Boeselager, den Preis an die siegreiche Mannschaft verliehen - zuletzt an das Panzeraufklärungsbataillon 6 in EUTIN, in dem zur Zeit einer Ihrer Enkel als Reserveoffizieranwärter dient.
Ich darf den militärischen Bezug Ihrer Laudatio nicht abschliessen, ohne zumindest kurz darauf hinzuweisen, dass Sie der Bundeswehr über das Gesagte hinaus in deren Anfangsjahren auch als Reserveoffizier verbunden waren.

Ganz persönlich darf ich erwähnen, dass ich mich sehr gefreut habe, Ihre Bekanntschaft und die Ihrer verehrten Frau Gemahlin in kleiner Runde und in privatem Umfeld gemacht zu haben – vermittelt durch meinen Vorgänger im Amt, Herrn Generalleutnant a.D. Manfred Dietrich. Ich hoffe, Sie beide noch häufig und bei guter Gesundheit zu erleben.

Sehr verehrter Baron Boeselager,
für das, was Sie für unser Volk, unseren Staat und die Bundeswehr geleistet haben, gilt Ihnen unser tief empfundener Dank und Respekt vor Ihrer Lebensleistung. Ich gratuliere Ihnen nochmals ganz herzlich zu der heutigen Auszeichnung.

Nachtrag:

Philipp Freiherr von Boeselager ist am 1. Mai 2008 im Alter von 90 Jahren auf Burg Kreuzberg bei Altenahr verstorben. Sein Leben ist in dem Buch "Der letzte Zeuge des 20. Juli 1944" von Dorothee von Meding und Hans Sarkowicz mit einer Einführung von Romedio Galeazzo Reichsgraf von Thun-Hohenstein dargestellt.