Kein Mensch auf der ganzen Welt
kann die Wahrheit verändern.
Man kann sie nur suchen
sie finden und ihr dienen.
Die Wahrheit ist an jedem Ort.

Dietrich Bonhoeffer

Gastkommentar von Rechtsanwalt Dr. Thomas Giesen

(Januar 2009)

Sehr geehrter Herr Ruwe,
nachdem wir nun alle Rechtsmittel ausgeschöpft und im Ergebnis nichts erreicht haben, darf ich ein Resümee meiner Bemühungen ziehen:

Der Bundespräsident „kann“ nach § 50 Abs. 1 Soldatengesetz Berufsoffiziere vom Brigadegeneral an aufwärts „jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzen.“ Die Rechtsprechung gibt dem betroffenen Soldaten auch in diesem Fall den verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz.

Jede mit dem Wort „kann“ bezeichnete Ermessensentscheidung muss im Rechtsstaat auf einer wahren Tatsachengrundlage beruhen, denn es gibt kein Ermessen bei der Feststellung des Tatbestands, sondern nur bei der Wahl der Rechtsfolgen. Werden also für die Entscheidung des Bundespräsidenten seitens des sie anregenden Bundesministers der Verteidigung Sachverhalte als Begründung eines Vertrauensverlustes genannt, müssen diese der Wahrheit entsprechen; die rechtlichen Bewertungen des Sachverhalts müssen tragfähig, also richtig, sein. Ich war – und bleibe – der Auffassung, dass folglich die Wahrheitsfrage den Prozess um die Anfechtung einer Zurruhesetzung zu beherrschen hat.

Wir haben in den Prozessen insbesondere in allen Einzelheiten und unter Beweisantritt vorgetragen, dass
- Sie von Seiten des zuständigen höheren Disziplinarvorgesetzten Ihres Sohnes, Herrn Generalleutnant Dieter, von den (sich später im Hauptvorwurf als falsch herausstellenden) Vorwürfen gegen Ihren Sohn aus dienstlichen Gründen informiert worden sind und von ihm ausdrücklich gebeten wurden, die Sache mit Ihrem Sohn zu besprechen,
- Sie deshalb informiert und eingeschaltet wurden, weil nur die Tatsache, dass Sie der (in der Bundeswehr herausgehoben tätige) Vater des angeschuldigten Soldaten sind, Grund für die beabsichtigte Ministervorlage war, Sie also amtlicherseits familiär betroffen waren,
- Sie (und auch GenLt Dieter) kein Dienstgeheimnis verraten haben können, wenn Sie den betroffenen Soldaten, nämlich Ihren Sohn, vom Stand der gegen ihn laufenden Ermittlungen informieren,
- Sie in keiner Weise heimlich oder verdeckt tätig waren, weil sowohl Herr GenLt Dieter den Generalinspekteur der Bundeswehr von seinem Vorhaben, Sie einzuschalten, unterrichtet hat als auch Sie eine Reihe von hohen Fachoffizieren und Beamten im Ministerium informiert und eingebunden haben, und dass Sie einen Vermerk für Herrn GenLt Dieter angefertigt haben, weshalb der Vorwurf der „Kungelei“ also abseitig ist.

Auf welchen wahren und rechtlich korrekt bewerteten Tatsachen soll also der Vorwurf beruhen, Sie hätten ein Dienstvergehen begangen? Die Gerichte haben diese Frage nicht beantwortet. Vielmehr hat der Bundesverteidigungsminister Ihnen mit seiner Verfügung, Sie in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, ein ordnungsgemäßes Disziplinarverfahren abgeschnitten. Jede Befassung mit unseren Argumenten hätte die Gerichte zu einer wirklichen Prüfung des Sachverhalts und des Rechts der Dienstgeheimnisse gezwungen. Davor haben sich die Gerichte, leider auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 7.1.2008, 2 BvR 1093/07, aber gehütet. Ich bleibe dabei: Der bloße (und nicht wirklich begründete) Vorwurf eines Dienstvergehens darf nicht als Grund für eine Versetzung eines Generals in den einstweiligen Ruhestand herhalten.

Stattdessen hat das Verwaltungsgericht Köln (Urteil vom 11.1.2008, 27 K 840/ 06) betont, dass allein auf die Erwägungen abzustellen sei, die der Bundespräsident angestellt habe. Er habe aufgrund des Antrages des Bundesverteidigungsministers davon ausgehen können, dass dieser das Vertrauen zu Ihnen verloren habe; eine eigene Prüfungspflicht des Bundespräsidenten sieht das Gericht nicht. Das Oberverwaltungsgericht für NRW (Beschluss vom 24.9.2008, 1 A 467/08) übernimmt ohne weitere Begründung eine Meinung des Bundesverwaltungsgerichts, es sei nur zu prüfen, ob die Zurruhesetzung das Willkürverbot verletzt habe: „Die Anwendung und Beachtung dieses Obersatzes reduziert den Kern des Rechtsstreits auf die überschaubare Fragestellung, ob es willkürlich sein kann, einen Vertrauensverlust daraus herzuleiten, dass der Verschwiegenheitspflicht unterliegende dienstliche Vorgänge an einen offensichtlich nicht zur Einsichtnahme befugten Dritten – hier der Sohn des Klägers – weitergegeben werden, um dadurch zumindest eine private Klärung von gegen diesen (Sohn) erhobenen disziplinarrechtlich erhobenen Vorwürfen herbeizuführen. Dieser Fokussierung weicht der Kläger demgegenüber erkennbar durch Heranziehung einer Fülle von Scheinproblemen hartnäckig aus. Er belegt damit die Notwendigkeit, gerade in Kreisen so genannter Machteliten jeder Form von Nepotismus entschieden entgegenzutreten. Hiervon ausgehend war aber der zur Entlassung führende Vertrauensverlust des Ministers für jeden Kundigen einsehbar und damit von einer unterstützenswerten, jeder Willkür fernliegenden Motivation getragen.“, so das OVG wörtlich. Das sind starke Worte; ihre liebedienerische Emphase ersetzt jedoch nicht die gebotene Erfassung und Aufklärung des Sachverhalts sowie die gebotenen Rechtskenntnisse.

Denn die Ausweitung des Ermessens auf alle Begründungen, die nicht willkürlich sind, findet in dieser Allgemeinheit im Gesetzeswortlaut keine Stütze; das mag bei einem politisch motivierten Vertrauensverlust der Natur der Sache entsprechen; wird aber ein disziplinarischer Vorwurf erhoben und dieser als Grund für den Vertrauensverlust angeführt, so muss dieser Vorwurf geklärt werden und hieb- und stichfest sein. Das Recht des Soldaten, sich im Disziplinarverfahren von Vorwürfen zu reinigen, darf nicht durch die Behauptung eines Vertrauensverlustes verkürzt werden. Dass der betroffene Soldat keine Kenntnis von ihn betreffenden Personalvorgängen haben dürfe, ist eine dem Rechtsstaat fremde Vorstellung, zumal jeder berufene Amtsträger, also GenLt Dieter, aus dienstlichen Gründen über Dienstgeheimnisse verfügen darf. Mit einer „privaten Klärung“ kann angesichts Ihrer von Ihnen unerbetenen dienstlichen Befassung als Vater und angesichts Ihrer aus familiären Gründen erfolgten dienstlichen Involvierung nicht ernsthaft argumentiert werden. Von „Nepotismus“ zu reden, wenn ein Vater, dienstlich dazu aufgefordert, seinen Sohn von einem gegen ihn erhobenen, noch dazu haltlosen Vorwurf informiert und darüber dem dienstlichen Vorgesetzten des Sohnes offen berichtet, ist ebenso zynisch wie verfassungswidrig. Mit seinem Diktum, vor allem mit seiner Diktion, schadet das OVG dem Ansehen des Rechtsstaats.

In Prozessen werden Urteile gefällt; nicht immer wird Recht gesprochen. Dieses menschliche Versagen – es handelt sich um fehlenden persönlichen Mut - kann an unserer grundlegend positiven Haltung zu diesem Rechtsstaat nichts ändern.

Ich danke ihnen für die ausgezeichnete Zusammenarbeit.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Dr. Thomas Giesen, Rechtsanwalt

Vita

Dr. jur. Thomas Giesen, Rechtsanwalt in Dresden
geb. 1946 in Koblenz, Studium in Bonn und Mainz
1975 – 1990 Rechtsanwalt in Koblenz
1991 – 2003 Datenschutzbeauftragter des Landes Sachsen
2004 – 2005 EU-Datenschutzprojekt in Riga / Lettland
seit 2005 Rechtsanwalt (vorwiegend öffentliches Recht, Strafrecht, Datenschutzrecht)

Ein ausführlicherer Lebenslauf findet sich unter www.rechtsanwaltgiesen.de .