Kein Mensch auf der ganzen Welt
kann die Wahrheit verändern.
Man kann sie nur suchen
sie finden und ihr dienen.
Die Wahrheit ist an jedem Ort.

Dietrich Bonhoeffer

Schreiben an das Oberverwaltungsgericht Münster

(Oktober 2008)

Sehr geehrter Herr Vorsitzender Brauer,
sehr geehrte Herren Oberrichter Dr. Knoke und Dr. Wysk!

Vor wenigen Tagen haben Sie mir Ihren Beschluss zukommen lassen, in meinem Verwaltungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland keine Berufung zuzulassen. Ihre Entscheidung halte ich zwar für rechtswidrig, überraschen konnte sie mich angesichts Ihrer obrigkeitsorientierten Vorfestlegungen im vorausgegangenen Eilverfahren jedoch nicht. Überrascht hat mich Ihr Beschluss dagegen wegen seiner mageren sachlichen und juristischen Begründung. Schließlich ersetzt der stereotype Hinweis auf angeblich einschlägige Entscheidungen höherer Gerichte in nicht vergleichbaren Fällen nicht die Pflicht zur eigenen Auseinandersetzung, Entscheidung und Begründung. Was Sie als Scheinargumente bezeichnen, sind für mich zentrale Rechtsfragen, z.B. die Frage, wie viele gravierende Rechtsverstöße eine Behörde in der Vorbereitung einer Maßnahme eigentlich begehen darf, bevor diese Maßnahme selbst rechtswidrig wird.

Darüber hinaus finde ich Ihren Beschluss wegen der blasierten Diktion, die jeden, der juristisch anderer Auffassung ist, in die Nähe eines geistig Minderbemittelten rückt, in hohem Maße irritierend. Selbst wenn ich diese Diktion, die in erstaunlicher Weise von der üblichen wohltuend sachlichen Form juristischer Beschlüsse von Obergerichten abweicht, wohl als besonderen Stil Ihres Senats oder dieses Berichterstatters betrachten muss, von Ihnen beleidigen lassen muss ich mich als rechtsuchender Bürger jedoch nicht.

Ihre Behauptung, mein Verhalten und meine Prozessführung belegten „die Notwendigkeit, gerade in Kreisen so genannter Machteliten jeder Form des Nepotismus entschieden entgegenzutreten“, ist eine Unverschämtheit. Darüber hinaus ist sie, zu Ende gedacht, sogar die Verweigerung des Prozessgrundrechts.

Ich weiß nicht, welche Akten Sie in den vergangenen Jahren studiert haben; die meines Falles können es schwerlich gewesen sein; denn dann hätten Sie sich zu einer solchen Wertung nicht versteigen können. Auf die disziplinaren Ermittlungen gegen meinen Sohn habe ich mit Ausnahme der – im Übrigen erfolglosen - Forderung, endlich dem gesetzlichen Beschleunigungsgebot in Disziplinarangelegenheiten Rechnung zu tragen, keinerlei Einfluss genommen oder zu nehmen versucht. Einen solchen Vorwurf hat nicht einmal der Bundesminister der Verteidigung erhoben, den Sie im übrigen mit Ihrer Unterstellung ebenfalls beleidigen.
Denn er hat den Generalinspekteur der Bundeswehr, General Schneiderhan, der von Generalleutnant Dieter über dessen Vorgehensweise in diesem Fall vorab detailliert unterrichtet wurde, in Kenntnis dieses Umstandes zweimal über die besondere gesetzliche Altersgrenze hinaus in seinem Amt bestätigt und ihm damit sein besonderes Vertrauen erwiesen. Sie werden nicht behaupten wollen, dass der Bundesminister der Verteidigung die Amts- und Dienstzeit eines höchsten Offiziers verlängern würde, der Nepotismus begünstigt habe.

Ohnehin erschließt sich mir nicht, was Sie als Begünstigung meines Sohnes betrachten, wenn Sie von Nepotismus sprechen. Betrachten Sie es als eine Begünstigung, wenn ein (unzutreffender) schwerwiegender Vorwurf, ohne dass der Betroffene dazu gehört worden wäre, dem Ministerium gemeldet wird, weil der Vater eine hohe Position in der Administration hat? Betrachten Sie es als Nepotismus, wenn der von Amts wegen und ohne jedes Zutun zu recht eingeschaltete Vater seinen Sohn auf die ausdrückliche Bitte von dessen höherer Disziplinarbehörde über ein Verfahren gegen ihn informiert und dazu – ebenfalls auf dienstliche Bitte hin - eine dienstliche Stellungnahme abgibt? Ist es eine Begünstigung, wenn jemand, wie das meinem Sohn widerfahren ist, rechtswidrig und ohne erkennbaren Anlass von einem hohen Vorgesetzten in die Psychiatrie eingewiesen wird?

Offenkundig hat es Sie wenig interessiert, über welchen Sachverhalt Sie zu befinden hatten, obwohl es Ihre Pflicht gewesen wäre, den von mir unwidersprochen im Einzelnen vorgetragenen Sachverhalt zu verifizieren. Falls Sie überhaupt ein Interesse an den von Ihnen zu entscheidenden Fällen haben, empfehle ich Ihnen das Studium meiner Website und dort – im Hinblick auf Ihre sog. Rechtsprechung – insbesondere das der Seiten „Ein wenig erfolgreiches Plädoyer“, „§ 50 SG – ein Zwiegespräch“ und „Gewaltenteilung“ unter der Rubrik „Kommentare“. Es müsste Ihnen eigentlich peinlich sein, dass sich Ihnen ein Sachverhalt, der von inzwischen weit mehr als zehntausend Besuchern meiner Website in seiner wahren Dimension erfasst werden kann, aus der – eigentlich ziemlich offenkundigen – Aktenlage nicht erschlossen hat. Sie haben populistischen Vorurteilen den Vorzug vor der Auseinandersetzung mit der Wahrheit gegeben.

In dem vergleichbaren Fall des General a.D. Dr. Günter Kießling in den 80er Jahren ist seinerzeit eine Fehlentscheidung des Bundesministers der Verteidigung – unter anderer politischer Konstellation – politisch korrigiert worden. Juristisch wäre General Dr. Kießling bei der Rechtsauslegung Ihres Senats offenkundig ebenso gescheitert wie General Dieter und ich.

Auf einen weiteren Umstand weise ich hin: Mit Ihrer Rechtsauslegung beschädigen Sie auch das Amt und die Autorität des Bundespräsidenten. Das Gesetz ist zumindest in einem Punkt ganz eindeutig. Es sagt: „Der Bundespräsident kann die Berufsoffiziere vom Brigadegeneral ... an aufwärts jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzen.“ Mit dem Ansatz, der Bundesminister der Verteidigung brauche dem Bundespräsidenten nicht wahrheitsgemäß und zutreffend vorzutragen, sondern müsse lediglich seinen Vertrauensverlust glaubhaft machen, beschneiden sie die Entscheidungskompetenz des Bundespräsidenten in einer Weise, die aus dem Gesetz nicht abzuleiten ist. Er wird darüber nicht beglückt sein.

Über die eigene Betroffenheit hinaus halte ich es gerade im Hinblick auf die Einsätze der Bundeswehr für fatal, dass Sie mit Ihrem Beschluss eine Rechtsauslegung verfestigen, die eine gesamte Berufsgruppe, nämlich die Generalität der Bundeswehr, die Sie zugleich als Teil der „sog. Machtelite“ apostrophieren, in eine der Leibeigenschaft ähnelnde Abhängigkeit von der Gunst ihres jeweiligen Ministers bringt: „Der Vertauensverlust kann bereits durch Imponderabilien oder dadurch veranlasst werden, dass dem Minister Ihre Nase nicht passt“ (Berichterstatter der zuständigen Kammer des VerwGer Köln in der Verhandlung meines Falles am 21. Dezember 2007).

Dies konterkariert auch die Aufforderung des Bundespräsidenten an den genannten Personenkreis, „Klartext nach oben und außen zu reden“. Wie soll das Parlament seiner Verantwortung für die Bundeswehr - insbesondere bei der Mandatierung von Einsätzen - gerecht werden, wenn aus der Bundeswehr heraus unter solchen rechtlichen Rahmenbedingungen eine freie Meinungsäußerung kaum noch möglich ist?

Mit Ihrem Beschluss haben Sie der Führungskultur in den Streitkräften, aber auch dem Rechtstaat insgesamt keinen Dienst erwiesen, sondern dessen Glaubwürdigkeit beschädigt. Ich erlaube mir, meine Einschätzung Ihres Beschlusses öffentlich zu machen und der Justizministerin des Landes Nordrhein-Westfalen sowie dem Präsidenten des Oberverwaltungsgerichtes Münster zur Kenntnis zu bringen.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Jürgen Ruwe

Mein Anschreiben an den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Münster:

Sehr geehrter Herr Präsident Dr. Bertrams!

In meinem Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland, in dem ich mich gegen eine – nicht nur aus meiner Sicht – zu unrecht erfolgte Versetzung in den einstweiligen Ruhestand nach § 50 Soldatengesetz zur Wehr setzen wollte, hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen am 24. 09. 2008 entschieden, eine Berufung nicht zuzulassen.

Der Beschluss ist – wie bereits das im Jahr 2006 angestrengte Eilverfahren in gleicher Sache – von einem Maß an obrigkeitsorientierter Voreingenommenheit und Oberflächlichkeit gekennzeichnet, wie ich das noch vor wenigen Jahren von einem deutschen Obergericht nicht für möglich gehalten hätte. Er gipfelt in der beleidigenden Unterstellung, mein Verhalten und meine Prozessführung belegten „die Notwendigkeit, gerade in Kreisen so genannter Machteliten jeder Form des Nepotismus entschieden entgegenzutreten“. Gegen eine solche Feststellung verwahre ich mich mit allem Nachdruck und habe dies dem 1. Senat mit dem beigefügten Schreiben deutlich gemacht. Ich finde es skandalös, in welcher Form ein rechtsuchender Bürger von diesem Senat behandelt wird, während gravierende Rechtsverstöße des Bundesministeriums der Verteidigung bis hin zu dem Versuch der Beweisvereitelung nicht zur Kenntnis genommen werden.

Mir ist natürlich bekannt, dass die Herren des 1. Senats in Ihrer richterlichen Funktion niemandem Rechenschaft schuldig sind, ich wollte Sie jedoch davon in Kenntnis setzen, dass der genannte Beschluss in Form und Inhalt Ihrem Haus keine Ehre macht.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Jürgen Ruwe

Am 4. November erhalte ich die Antwort des Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Münster.
Wer geglaubt haben sollte, er sei durch Form und Inhalt des Beschlusses seines 1. Senats etwa peinlich berührt gewesen, sieht sich getäuscht. Wenn sich ein Bürger gegen beleidigende Äußerungen eines Gerichtes verwahrt, erfolgt sofort ein Aufschrei: Majestätsbeleidigung! Da muss man nicht noch auf die vorgebrachten Sachargumente eingehen. Immerhin zeigt die harsche Reaktion, dass der Vorwurf offenbar ins Schwarze traf.
Weiter möchte ich das Antwortschreiben (als pdf-Dokument) nicht kommentieren; Ton und Inhalt sprechen für sich selbst.