Kein Mensch auf der ganzen Welt
kann die Wahrheit verändern.
Man kann sie nur suchen
sie finden und ihr dienen.
Die Wahrheit ist an jedem Ort.

Dietrich Bonhoeffer

Gastkommentar von Oberst a.D. Klaus Wiegner

(August 2008)

Nach dem Studium dieser Website rieb ich mir die Augen.
Was hatte ich da gelesen, eine Story aus der ehemaligen Sowjetunion oder DDR? Nein, eine Schilderung aus der Bundesrepublik Deutschland, meiner lupenreinen rechtsstaatlichen Demokratie, der ich als Berufsoffizier engagiert gedient und die ich gegen alle Anwürfe von rechts und links verteidigt habe.

Selbst wenn nur ein Teil des geschilderten Sachverhalts einer objektiven Prüfung standhielte – ich habe in Kenntnis der Persönlichkeit des Verfassers daran keinen Zweifel – wäre mein Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit unseres Landes und in die Integrität der Bundeswehrführung erschüttert. Das unschätzbar wertvolle Grundkapital der Inneren Führung scheint verspielt, auch durch die Untätigkeit des eigens dafür eingesetzten Parlamentsbeauftragten.

Ein junger, leistungsstarker Offizier wird mit fadenscheinigen aber publikumswirksamen Vorwürfen bis an die Grenze des Unerträglichen belastet. Ohne den Betroffenen zu allen Vorwürfen zu hören, werden diese dem Stellvertretenden Generalinspekteur schriftlich gemeldet. Ein Admiral ordnet rechtswidrig seine psychiatrische Untersuchung an; seine Beschwerden werden verschleppt oder überhaupt nicht beschieden; das Verfahren wird nicht beschleunigt, sondern über Jahre gestreckt; zum krönenden Abschluß wird er aus nichtigen, nicht nachvollziehbaren Gründen mit einer dreijährigen Beförderungssperre belegt, einer Fallbeilstrafe für jeden jungen Offizier, weit gewichtiger als 21 Tage Arrest. An seiner Stelle wäre ich todunglücklich; ich hätte bei klarem Unschuldsbewußtsein jegliches Vertrauen in Armee und Vorgesetzte verloren und könnte für meine Reaktion nicht garantieren. Umso mehr bewundere ich die Selbstdisziplin dieses jungen Mannes.

Der Vorgang klingt so absurd, daß ich dahinter eine steuernde Hand vermuten muß, die dieses Verfahren in den Dienst eines anderen gestellt hat. Die Pflichten zur Kameradschaft und Fürsorge sowie die Bestimmungen zur beschleunigten Bearbeitung von Wehrbeschwerden und Disziplinarangelegenheiten mußten da offenbar zurückstehen.

Ein Generalleutnant recherchiert vor der Entscheidung über eine Leitungsvorlage und übergibt mit Kenntnis des Generalinspekteurs einem anderen Generalleutnant eine Meldung mit Anschuldigungen als Grundlage für ein klärendes Gespräch mit dem Angeschuldigten.
Daraus läßt sich was machen, z.B. der Vorwurf der Kungelei, publikumswirksam, schlagzeilenträchtig. Der „Spiegel“ bringt´s, Bundestagsabgeordnete empören sich. Inmitten eines laufenden Verfahrens hat der entsprechende Informant vorsätzlich seine Verschwiegenheitspflicht verletzt; er hat sich strafbar gemacht. Warum wird hier nicht ermittelt?
Der Vorwurf „schwerwiegender Dienstvergehen“ steht im Raum und vergiftet die Atmosphäre. Der Bundespräsident wird instrumentalisiert, die beiden Generale werden rausgeschmissen.

Warum das Ganze? Wie schwerwiegend müssen die Motive sein, um sich unter Inkaufnahme schwerer Rechtsverstöße und der Existenzvernichtung eines jungen Offiziers dieser beiden mißliebigen Generale zu entledigen? Ich weiß es nicht. Was ich jedoch weiß, ist, daß Generalleutnant Ruwe im Einklang mit einem vorrangigen Erziehungsziel der Bundeswehr intern couragiert seine Sicht der Dinge darlegt und mannhaft vertritt, vorbildlich anders als dereinst die meisten Wehrmachtsgenerale, deren „couragiertes Aufbegehren“ in einem kläglichen „Jawoll, mein Führer!“ endete. Generalleutnant Ruwe hat konzeptionell andere Vorstellungen als der Generalinspekteur. Begründet dieser Dissens den Rausschmiß? Wie gesagt, ich weiß es nicht.

Das Ministerium kann sich zurücklehnen und auf die juristischen Verfahren verweisen. Ich habe einige Urteile gelesen. Keines hat mich überzeugt. Ist es wirklich so, daß es nicht darauf ankommt, dem Bundespräsidenten wahrheitsgemäß zu berichten, sondern daß allein der Verdacht und das darin begründete Mißtrauen ausreichen, die Versetzung eines Generals in den „Einstweiligen Ruhestand“ zu beantragen?

Ist es fair vom Bundesminister der Verteidigung, dem Beschuldigten das von ihm beantragte Disziplinarverfahren zu verwehren; ist es fair vom dann angerufenen Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts, nach Aktenlage ohne Anhörung der Betroffenen und ohne Mitwirkung eines Vier-Sterne Generals als Beisitzer zu entscheiden?
Über die Unabhängigkeit der Justiz mache ich mir auf Grund ihrer vielfältigen Verflechtungen mit der Exekutive, die darin gipfeln, daß letztere hohe Posten vergibt, ohnehin keine Illusionen. Das Versagen der Justiz im Umgang mit DDR-Unrecht ist Wasser auf meine skeptischen Mühlen.

Ich wünschte mir ein offenes, vielleicht sogar erklärendes Wort der Beteiligten, des Ministers, des Staatssekretärs Dr. Wichert und vor allem des Generalinspekteurs, der trotz seines Wissens um die auslösenden Vorgänge, insbesondere der Handhabung des Anschuldigungsschreibens, sich offensichtlich nicht solidarisch vor seine Kameraden stellte und von sich aus zurücktrat, der auch nicht gehen mußte sondern länger, d.h. über das Datum seiner gesetzlichen Zurruhesetzung hinaus, im Amt verbleiben darf.

Klaus Wiegner Oberst a.D.

Vita

Oberst a.D. Wiegner trat 1962 in die Bundeswehr ein. Nach seiner Ausbildung zum Panzergrenadieroffizier diente er als Zugführer, Fernmelde-, Personaloffizier und Kompaniechef. Von 1973 - 1975 wurde er zum Generalstabsoffizier an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg ausgebildet. Es folgten Verwendungen als Referent Militärstrategie im Führungsstab der Streitkräfte, Planungsstabsoffizier für die Verteidigungsplanung der Heeresgruppe Mitte (CENTAG) und schließlich 1981 als Kommandeur des Panzergrenadierbataillons 82 in Lüneburg. Danach wurde er Personalführer für die jungen Generalstabsoffiziere des Heeres in der Personalabteilung des Ministeriums, anschließend Chef des Stabes der 3. Panzerdivision in Buxtehude und schließlich Referatsleiter für die Personalführung der Generale und der im Personalbereich verwendeten Offiziere des Heeres. Aus dieser Verwendung schied er nach knapp 5 Jahren aus familiären Gründen aus.