Kein Mensch auf der ganzen Welt
kann die Wahrheit verändern.
Man kann sie nur suchen
sie finden und ihr dienen.
Die Wahrheit ist an jedem Ort.

Dietrich Bonhoeffer

§ 50 Soldatengesetz – ein Zwiegespräch

Am 21. Dezember 2007 fand zu meiner Klage gegen die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand die Hauptverhandlung beim Verwaltungsgericht Köln statt. Sie war durch längere Statements des Gerichts und der Parteien gekennzeichnet. Etwas Anderes lässt das Format einer solchen Sitzung wohl nicht zu. Der Lesbarkeit halber habe ich wesentliche Aussagen in Form eines fiktiven Zwiegesprächs zusammengefasst.
Der dem Verfahren zugrundeliegende § 50 (1) Soldatengesetz ist von erfrischender Kürze: "Der Bundespräsident kann die Berufsoffiziere vom Brigadegeneral an aufwärts jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzen."

Richter:
Was Sie uns hier vorgetragen haben (s. Plädoyer), ist zwar hochinteressant, aber nicht entscheidungserheblich. Im übrigen verstehe ich gar nicht, dass Sie sich so über diese Dinge erregen. Sie haben uns doch erklärt, wie gut Sie das Ministerium kennen. Da mussten Sie doch wissen, dass Sie sich in einem Haifischbecken befanden.

Kläger:
Na ja, nicht wirklich; ich habe selbst im Ministerium ein gewisses Maß an Kameradschaft erlebt. Aber warum sind die Vorgänge, die zu meiner Entlassung geführt haben, nicht entscheidungserheblich?

Richter:
Maßgeblich ist nur, was dem Bundespräsidenten vorgelegt worden ist, und daraus ist der Vertrauensverlust des Ministers plausibel herzuleiten. Die Vorgeschichte ist unerheblich. Außerdem haben Sie ja – wie der Minister feststellt - den zugrundeliegenden Sachverhalt eingeräumt.

Kläger:
Eingeräumt? Was heißt hier eingeräumt. Ich habe den zugrundeliegenden Sachverhalt festgestellt. Das Wort „eingeräumt“ muss doch zwangsläufig beim Bundespräsidenten den Eindruck erwecken, ich hätte ein schuldhaftes Verhalten eingeräumt. Wie würden Sie sich vorkommen, wenn jemand behauptete, sie hätten eingeräumt, wiederholt in die Kaffeekasse Ihres Büros gegriffen zu haben, obwohl sie dies lediglich getan haben, um dort Ihren Obolus einzubringen.

Richter:
Darauf kommt es beim § 50 Soldatengesetz gar nicht an. Aus welchen Gründen der Minister sein Vertrauen in Sie verliert, ist unerheblich. Es müssen dafür ja auch keine Gründe genannt werden. Der Verlust des Vertrauens kann bereits durch Imponderabilien veranlasst werden oder z.B. dadurch, dass dem Minister Ihre Nase nicht passt (sic!). Es darf nur keine Willkür sein.

Kläger:
Aha, es muss also dem Bundespräsidenten gegenüber nur plausibel gemacht werden, warum eine bestimmte Nasenform zum unwiederbringlichen Verlust des Vertrauens meines Ministers führt, damit nicht jemand auf die absurde Idee käme, der Verlust des Vertrauens sei willkürlich erfolgt. Ich war in meiner Naivität doch tatsächlich der Meinung, man müsse dem Bundespräsidenten die Wahrheit sagen, damit er sachgerecht entscheiden kann.

Richter:
Der Minister muss den Bundespräsidenten generell davon überzeugen, dass er sein Vertrauen verloren hat. Das reicht aus. Es ist meistens ja auch gar nicht im Interesse des Betroffenen, dass Gründe genannt werden. Das sieht auch der § 36 Bundesbeamtengesetz für politische Beamte nicht vor, der hier analog heranzuziehen ist.

Kläger:
Ich habe mit dieser angeblichen Parallelität einige Probleme. Darf ich Ihnen aus meiner Erfahrung mal schildern, wie die Anwendung des § 36 Bundesbeamtengesetz aussieht? Die Standardanwendung - hätte ich fast gesagt – ist doch ein Regierungswechsel. Dabei gibt es eigentlich keinen echten Vertrauensverlust. Der neue Minister kann doch seine Staatssekretäre und Abteilungsleiter gar nicht näher kennen; er weiß aber, dass er von lauter Leuten umzingelt ist, die das aus seiner Sicht falsche Parteibuch haben. Da möchte er einfach den einen oder anderen Mann oder die eine oder andere Frau seines eigenen Vertrauens platzieren. Wie sollte der Minister in einem solchen Fall eine besondere Begründung finden, die aus dem Verhalten des Abzulösenden abzuleiten wäre, und wer sollte sie ihm liefern - etwa die Untergebenen des Betreffenden? Da kann ich gut nachvollziehen, dass keine Begründung genannt wird.

Richter:
Sehen Sie: Genau das ist es, was ich eben gesagt habe. Ein Begründungszwang wäre auch nicht im Sinne der Betroffenen.

Kläger:
Da mögen Sie recht haben. In meinem Fall sind aber Gründe genannt und sogar in die Öffentlichkeit gebracht worden. Wenn Gründe genannt werden, müssen sie m.E. auch zutreffen. Und in dem üblichen Fall nach einem Regierungswechsel wird der Minister die Maßnahme sicherlich auch nicht hinter dem Rücken des Betroffenen in Stasi-Manier vorbereiten. Er führt vielmehr mit ihm ein persönliches Gespräch, erklärt ihm, dass er gar keine Zweifel habe, dass es sich bei ihm um einen exzellenten Beamten handele, der sehr viel für das Ressort getan habe, dass er aber dennoch um Verständnis bitte, dass er es nun mit einem anderen versuchen möchte. Er lässt in den nächsten Wochen einen passenden Termin für eine schöne Abschiedsparty aussuchen und wird ihn dann in allen Ehren und mit einer geziemenden Laudatio – soweit er sich dazu rhetorisch in der Lage fühlt - verabschieden. Das sah – mit Verlaub gesagt – in meinem Fall etwas anders aus.

Richter:
Das ist eine Frage des Stils, aber keine Rechtsfrage. Den beschriebenen Fall mögen Sie durchaus zutreffend geschildert haben. Sie scheinen sich da ja auszukennen. Aber es gibt ja auch noch andere Fallkonstruktionen. Wir beziehen uns beim § 50 Soldatengesetz meistens auf einen Fall aus den frühen 90er Jahren.

Kläger:
Ja, das ist mir auch aufgefallen. Den Fall kenne ich zufällig sehr gut, weil ich seinerzeit Adjutant des Generalinspekteurs war. Es handelte sich um einen Flottillenadmiral, wohnhaft hier in Köln, der in und außer Dienst im In- und Ausland nicht davon ablassen konnte, permanent die sicherheitspolitischen Positionen der Bundesregierung in Frage zu stellen. Unsere Verbündeten hatten schon den Eindruck gewonnen, die Bundesregierung bereite den Absprung aus der NATO vor. Es gab damals keine Besprechung der höheren militärischen Führung mit dem Minister, in dem die Militärs nicht die unverzügliche Anwendung des § 50 Soldatengesetz gegen diesen Admiral verlangt hätten. Dennoch dauerte es länger als ein Jahr, bis der Minister sich endlich dazu durchgerungen hatte. Sie sehen, wie hoch die Hemmschwelle für die Anwendung des § 50 Soldatengesetz damals war. Im Gegensatz zu dem genannten Admiral hatte ich nicht das geringste Problem mit den politischen Positionen unseres neuen Ministers. Wollen Sie mich etwa mit diesem Fall vergleichen?

Richter:
Nein durchaus nicht; aber ich habe das Gesetz nicht gemacht. Es sieht nun mal keine Begründungspflicht für die Anwendung des § 50 Soldatengesetz vor.

Kläger:
Der § 50 Soldatengesetz betrifft nicht einen sehr begrenzten Personenkreis von höheren (politischen) Beamten, die – von Ausnahmen abgesehen – meist auch aufgrund ihres Parteibuchs in die jeweilige Position gekommen sind, sondern alle Generale der Bundeswehr. Dieser Kreis von ca. 200 Leuten hat mit der unmittelbaren Umsetzung der Politik der Bundesregierung wenig zu tun, sondern folgt den Aufträgen und Weisungen seiner Vorgesetzten. Eine Aussage wie „es gilt, die Amtsführung der betroffenen hohen Amtsträger in fortdauernder Übereinstimmung mit der Regierungspolitik zu halten“ geht voll an der Sache vorbei.
Warum der Gesetzgeber überhaupt alle Generale einbezogen hat, erschließt sich mir auf den ersten Blick nicht. Das verbreitete Misstrauen in die bewaffnete Macht in den Anfangsjahren unserer Republik wird wohl dazu geführt haben. Wenn jedoch die Anforderungen an die Begründung eines Vertrauensverlusts genau so minimalistisch wären wie beim § 36 BBG, dass nämlich bereits Imponderabilien für einen Vertrauensverlust ausreichen, die zu laute Stimme, der stechende Blick oder die Nasenform – wie Sie das ausgedrückt haben -, wäre dies für die Führungskultur in der Bundeswehr eine Katastrophe und im übrigen ein Schandfleck für den Rechtsstaat.
Denn welche militärischen Führer wollen und brauchen wir? Doch sicherlich nicht lauter Anpasser, die sich ständig bemühen müssen, dem Minister oder selbst seinen Zuträgern nur ja keinen Vorwand für einen schnellen Abschied zu liefern. Wie sagte der Bundespräsident vor wenigen Monaten an der Führungsakademie: „Die Soldatinnen und Soldaten erwarten von ihren militärischen Führern auch Klartext nach ‚oben’ und ‚außen’: hin zu den außen- und verteidigungspolitisch Verantwortlichen, hin zur Öffentlichkeit.“ Eine Rechtsprechung, die sich beim § 50 SG an den Anforderungen des § 36 BBG orientiert, steht diesem Anspruch fundamental entgegen.

Richter:
Das mögen berechtigte Fragen der Inneren Führung sein. Die haben wir hier aber nicht zu betrachten.

Kläger:
Nach Ihrer Rechtsprechung hätte der General a.D. Dr. Kießling – vielleicht kann sich der eine oder andere von Ihnen an diese bisher größte Affäre in der Geschichte der Bundeswehr im Jahr 1984 noch erinnern – in einem Klageverfahren keine Chance gehabt. Seine auf falschen Anschuldigungen beruhende Entlassung wurde zum Glück auf Druck des Parlaments und der Medien korrigiert. Wenn aus dieser Richtung angesichts einer großen Koalition heute nicht viel zu erwarten ist, kommt der Justiz eine erhöhte Verantwortung zu. Ich hoffe, dass Sie mit Ihrer Rechtsprechung dazu beitragen, dass sich ein solcher Fall in der Bundeswehr nicht wiederholen kann.

Nachwort:
Die Hoffnung war vergeblich.


(zur Problematik des § 50 Soldatengesetz siehe auch unter www.hansheinrichdieter.de )